«Beim Thema Sex gibt es kein Richtig oder Falsch»

Auf der einen Seite des Zimmers steht ein grosser Tisch mit sechs Stühlen, auf der anderen Seite ein Sofa. Auf dem Boden dazwischen liegt eine Trainingsmatte. Die Vorhänge und Kissen in verschiedenen Orangetönen strahlen eine angenehme Wärme aus. Nur die unterschiedlich weissen Wände deuten darauf hin, dass hier und dort ein Möbelstück fehlt. «Die Regale habe ich bereits in die neue Praxis gezügelt», erzählt Patricia Matt. Sie zieht mit ihren beiden Kindern und der Praxis in eine neue Wohnung in Mauren. «Der Umzug spiegelt die Übergangsphase in meinem Berufsleben wider», bemerkt die 51-Jährige beiläufig. Sie arbeitet seit dem letzten Frühjahr selbstständig als Coach, Transaktionsanalytikerin und Sexualtherapeutin. Zuvor hat Matt 16 Jahre die Fachstelle für Sexualfragen in Schaan geleitet und sich mit zahlreichen Rand- und Tabuthemen wie Prostitution, Schwangerschaftsabbruch und Homosexualität beschäftigt. Mit ihren Initiativen hat sie sich nicht nur Freunde gemacht ? ihrer ethischen und professionellen Haltung ist sie dabei aber immer treu geblieben. «Wenn ich mich für eine verantwortliche Selbstbestimmung der Frau oder für sozial und rechtlich anerkannte Lebensräume von homosexuellen Menschen en gagiert habe, dann alles aus ein und dem selben Grund: Menschen sollen für ihre Entscheidungen selbst Ver antwortung übernehmen und ihr Leben gestalten können», sagt sie bestimmt. Dann fügt sie schmunzelnd hinzu: «Für viele Menschen war ich jedoch nach der Initiative ?Hilfe statt Strafe? nicht nur die Sex-, sondern auch noch die Abtreibungs tante. Dass ich mich auch für den Schutz des ungeborenen Lebens einsetzte, haben sie vergessen.»

Als Sozialarbeiterin angefangen

Patricia Matt ist in der Pfalz aufgewachsen ? in der Toskana Deutschlands, wie sie sagt. Sie hatte schon immer ein Interesse für Menschen und absolvierte deshalb in Deutschland eine Aus bildung zur Sozialarbeiterin. Danach war sie in verschiedenen Institutionen in der Schweiz tätig, unter anderem in psychiatrischen Kliniken und Suchtberatungsstellen. «Es ist ein grosses Anliegen von mir, Menschen dabei zu unterstützen, dass sie im Leben weiterkommen», erzählt Matt. Bei den Beratungen sei sie jedoch regelmässig an Grenzen gestossen, was sie dazu bewegte, sich mit der Transaktionsanalyse zu beschäftigten. Das ist eine psychologische Sichtweise der menschlichen Persönlichkeit und liefert Werkzeuge, mit denen Menschen ihre erlebte Wirklichkeit reflektieren, analysieren und verändern können. «Die Transaktionsanalyse half mir, meine Klienten besser zu verstehen und die Behandlungen zu optimieren.»
1994 kam Patricia Matt wegen der Liebe nach Liechtenstein und fasste in der Aidshilfe Liechtenstein Fuss. Sie leistete Aufklärungs- und Präventionsarbeit und bildete sich zur Sexualpädagogin weiter. Die Nachfrage nach allgemeinen Sexualthemen war so gross, dass die Aidshilfe 1996 zur Fachstelle für Sexualfragen und HIV-Prävention ausgebaut wurde. «Ich wurde immer mehr zu sexuellen Problemen befragt und musste daher mein Fachwissen auch in diesem Bereich vertiefen», erklärt Matt. Sie besuchte daher Weiterbildungen in der Sexual- und Paartherapie sowie in der klinischen Sexologie.

Beratung «mit oder ohne Sex»

«Aufgrund meiner Ausbildung biete ich somit Sexualtherapie und psychologische Beratung an», so die Paarberaterin. Viele seien sich aber nicht bewusst, dass man sich auch bei einer Trennung oder einer beruflichen Veränderung bei ihr Rat holen kann. «Dennoch ist Sex das brisantere Thema.» Nichtsdestotrotz, Patricia Matt arbeitet mittlerweile nicht mehr für die Fachstelle für Sexualfragen und konzentriert sich daher nicht mehr auf die sexologische Beratung. Mithilfe der Transaktionsanalyse coacht sie neuerdings auch Klienten, die Konflikte am Arbeitsplatz haben oder sich beruflich weiterentwickeln möchten. Mittlerweile hat sie ausserdem die Bewilligung, Menschen zu Beratern auszubilden. Kurz zusammengefasst bietet sie Einzel- und Paartherapie, Weiterbildungs- und Selbsterfahrungskurse an ? und alles im sexologischen sowie rein psychologischen Bereich. Zudem referiert sie über die unterschiedlichsten Themen an Veranstaltungen im In- und Ausland.

Probleme ganzheitlich erfassen

Das Lösen vieler Fälle bedingt jedoch, dass Patricia Matt die Transaktionsanalyse mit dem Sexocorporel-Konzept verbindet. «Oft ergründe ich zuerst den psychologischen Hintergrund des Problems und arbeite anschliessend mit Körpermustern», erklärt sie und nennt das Beispiel von Schmerzen beim Geschlechtsverkehr: Dieses sexuelle Problem kann körperliche und psychologische Ursachen haben. Die Verkrampfung im Unterleib können Betroffene unter anderem durch spezielle Übungen und Atemtechniken lösen. «Dafür benötige ich übrigens die Matte, die auf dem Boden liegt», fügt sie augezwinkernd hinzu.

Eine Herzensangelegenheit

Die 51-Jährige gesteht offen, dass ihr das Thema Sexualität seit jeher besonders am Herzen liegt. Den Grund dafür kann sie problemlos erläutern: «Sexuelle Gesundheit bedeutet, dass sich Körper, Seele und Geist im Einklang befinden. Ist der Mensch nicht mit seiner Sexualität im Reinen, ist er es oft auch mit sich selbst nicht.» Der sexologischen Beraterin ist es daher wichtig, den Menschen zu helfen, ihre sexuellen Probleme zu lösen und «das Feuer in ihnen wieder zu entfachen», wie sie es umschreibt. Dabei muss sie den Menschen immer wieder ins Bewusstsein rufen, dass es beim Thema Sex kein Richtig oder Falsch gibt, sondern unterschiedliche Bedürfnisse. Zu ihrer eigenen Sexualität verrät Patricia Matt nicht viel: «Sex ist für mich in meiner Partnerschaft ein Grundbedürfnis wie Hunger und Durst.» Ihre Ausbildung habe ihr Sexleben nur insofern verändert, dass sie es heute mehr geniessen und bewusster ausleben könne.

Vielfalt des Lebens geniessen

Um Körper, Seele und Geist in Einklang zu bringen, bewegt sich die 51-Jährige auch gerne in der freien Natur. Sie geht regelmässig laufen und schwimmen, fährt Fahrrad und besucht die Sauna. «Die Vielfalt in allen Lebensbereichen zu geniessen, ist mein Motto», verrät Matt. Sie liebt es daher auch, mit Menschen unterschiedlicher Kulturen zusammenzuarbeiten, Bücher in verschiedenen Sprachen zu lesen und verschiedene Musikrichtungen zu hören. Neben ihrer Mutter sprache beherrscht Patricia Matt die Sprachen Englisch und Fran zösisch. Auch Schweizerdeutsch versteht die Südwestdeutsche problemlos ? auch wenn sie nach über 20 Jahren in Liechtenstein immer noch kompromisslos Hochdeutsch spricht. «Schweizerdeutsch entspricht einfach nicht meinem Sprachgefühl», erklärt sie. Selbst beim Essen liebt sie die Vielfalt. «Es gibt so viele gute Sachen auf der Welt, die man ausprobieren kann. Und diese Wahlmöglichkeiten möchte ich auch denjenigen Menschen zugänglich machen, die meine Kurse und Referate besuchen oder mich für ein Beratungsgespräch aufsuchen.» (hl)

Steckbrief
Name: Patricia Matt
Wohnort: Mauren, aufgewachsen in der Pfalz (D)
Alter: 51
Zivilstand: Geschieden und in einer neuen Beziehung
Beruf: Transaktionsanalytikerin und Sexualtherapeutin
Hobbys: Laufen, Fahrradfahren, Schwimmen und Sauna
Leibspeise: Früchte, Saucen, scharfes Essen, Fisch, italienische und asiatische Küche etc.
Getränk: Tee (und Prosecco)
TV-Vorliebe: «Intouchables ? ziemlich beste Freunde»
Musik: Klassik, Jazz, Soul, Rock etc.
Lektüre: Sinnliche Romane und Fachliteratur
Stadt/Land? beides
Sommer/Winter? Frühling
Ort: Mauren
Stärke: «Ich kann kreativ mit schwierigen Situationen umgehen ? die Methoden sind unkonventionell, haben sich aber bewährt.»
Schwäche: «Trotz meiner Stärke bin ich sehr verletzlich.»
Kontakt: www.patriciamatt.com, patricia.matt@gmx.li