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«Befürchtungen haben sich bewahrheitet»

Ernst Walch war 2001 Aussenminister Liechtensteins. Er kann sich noch gut an die Ereignisse rund um den 11. September erinnern. Den «Krieg gegen den Terror» verfolgt er aus einem kritischen Blickwinkel.
Interview: von Michael Winkler
 
Herr Walch, wo waren Sie, als Sie von den Anschlägen erfuhren? Was ging Ihnen dabei als Erstes durch den Kopf?
 
Ernst Walch: Wie die meisten kann ich mich daran erinnern, als ob es gestern gewesen wäre: Dienstags hielten wir die Regierungssitzung im Regierungsgebäude ab. Plötzlich kam Bianca Hasler, die Sekretärin des Regierungschefs, ins Sitzungszimmer und sagte, wir müssten sofort unterbrechen und uns im Fernseher anschauen, was gerade in New York passiere. Natürlich waren wir alle schockiert. Mein erster Gedanke:?Hoffentlich ist meinen Freunden da drüben nichts passiert. Ich arbeitete ein Jahr lang bei Fox-Glynn-Melamed, einer Anwaltskanzlei ca. 200 Meter vom WTC entfernt. Hier gab und gibt es gute Kontakte nach Liechtenstein. Bob Glynn, ein Partner der Kanzlei, förderte mit der Lampadia-Stiftung das Kunstmuseum in Vaduz. Ich machte mir ernsthaft Sorgen um jene Menschen, die ich aus meiner Zeit in New York kenne. 
 
Kam denn jemand aus Ihrem Bekanntenkreis zu Schaden?
 
Lange konnte ich die betroffenen Bekannten nicht erreichen, weil das Telefonnetz lahmgelegt war. Ausserdem war die ganze Umgebung in Lower Manhattan lange Zeit Sperrzone, sodass die Menschen, die dort wohnten, zu Hause nicht erreichbar waren. Im Nachhinein erfuhr ich, dass eine Kollegin um 10 Uhr einen Friseurtermin im WTC gehabt hätte, aufgrund eines privaten Zwischenfalls allerdings zu spät dran war. Sie wäre mittendrin gewesen. Zum Glück kam keiner meiner Freunde zu Schaden. 
 
Wie erlebten Sie die Anschläge und die Folgen des 11. September 2001 als Liechtensteins Aussenminister?
 
Sehr emotional. Von Mitleid über Ohnmachtsgefühle bis hin zu Zorn war alles dabei. In jenem Jahr hatte Liechtenstein den Vorsitz im Europarat und ich erinnere mich gut daran, wie ich in Reden vor überhasteten Massnahmen gewarnt habe. Gerade die Einschränkungen der bürgerlichen Freiheiten – wie sie zum Beispiel mit dem Patriot Act einhergingen – waren mir sehr früh ein Dorn im Auge.
 
Wie behandelte Liechtensteins Regierung damals dieses Thema? Hat man besondere Massnahmen getroffen?
 
Natürlich haben wir erst einmal offiziell unsere Anteilnahme an die USA ausgedrückt. Intern haben wir natürlich Abklärungen getroffen, was eine Terrorgefahr für Liechtenstein betrifft, doch diese bestand nie. Im Jahr 2002 luden wir eine Gruppe Jugendlicher aus New York eine Woche lang nach Liechtenstein zum Staatsfeiertag ein. Sie alle waren in irgendeiner Form Betroffene von 9/11. Als ich sie am Ende des Besuchs traf, lobten sie Liechtenstein und sagten:?«Ihr habt hier echte Freiheit und Sicherheit.» Sie sahen bei uns, dass man Freiheit und Sicherheit auch ohne übertriebene Kontrolle erreichen kann. Daran erinnere ich mich gerne und das machte mich schon stolz auf unser Land. Gerade weil ich aus dem Mund der Betroffenen vom 11. September hören durfte, welche Vorzüge wir hier geniessen können.
 
Seither blieb ja in der internationalen Politik kein Stein auf dem anderen. Wie schätzen Sie die Entwicklungen rund um den «Krieg gegen den Terror» bis heute ein?
 
Die Befürchtungen haben sich bewahrheitet. Denn in vielen Fällen werden die Anschläge als Rechtfertigung von übertriebenen Massnahmen hergenommen, die nicht im direkten Zusammenhang mit dem Terrorismus stehen. Es geht in Richtung Überwachungsstaat und gläserner Mensch. Das stimmte ich schon sehr nachdenklich. 
 
Nun haben die USA sowohl Saddam Hussein als auch Osama bin Laden «ausgeschaltet». Glauben Sie, dass der Terror dadurch Rückschläge erhielt?
 
Sicher ist eine Tendenz spürbar, dass der internationale Terror und der militante islamische Fundamentalismus zurückgedrängt werden. Dafür mache ich aber nicht die Militäraktionen verantwortlich, sondern eher der Wandel, der während des «Arabischen Frühlings» spürbar wird. Es scheint, als ob im Islam eine Art Aufklärung im Gange ist. Die Menschen haben gesehen, dass Al-Kaida und andere Terrororganisationen die Welt nicht verbessern und weder Brot noch Arbeit für die Menschen beschaffen. Deshalb ist es wichtiger, sich ideologisch gegen den Terrorismus durchzusetzen als militärisch. Die «Aufklärung» im Islam ist schon lange fällig und es geht hoffentlich in die richtige Richtung.
 
Verschwörungstheorien zu 9/11 werden Umfragen gemäss immer beliebter. Wie wahrscheinlich schätzen Sie es persönlich ein, dass an der offiziellen Version Mängel bestehen?
 
Ich muss sagen, dass ich nicht an Verschwörungstheorien glaube. Davon halte ich nichts. Allerdings wird die offizielle Version oft allzu sehr heroisiert und zu Propagandazwecken genutzt, um unverhältnismässige Schritte zu setzen. Das darf nicht sein. Was die Wahrung und Verteidigung der Menschenrechte betrifft, sind solche Überhöhungen äusserst unangebracht und kontraproduktiv.
 
Persönlich
 
Ernst Walch, Jahrgang 1956, studierte Rechtwissenschaften und vergleichende Rechtswissenschaften in Innsbruck (Dr. iur.) und New York (Master of Comparative Law). Er ist Partner der Anwaltskanzlei Walch & Schurti in Vaduz. Er ist Mitglied in verschiedenen nationalen und internationalen Anwaltsorganisationen. Walch war von 1983 bis 1993 Mitglied des Lenkungsausschusses der Europäischen Demokratischen Union (EDU) als Delegierter der FBP, von 1989 bis 1996 Mitglied des Liechtensteiner Landtages, 1993 Präsident des Liechtensteiner Landtages und von 2000 bis 2001 Präsident der FBP. Von 2001 bis 2005 gehörte er als  Aussenminister des Fürstentums Liechtenstein?der Regierung an.

Artikel: http://www.vaterland.li/importe/archiv/liewo/befuerchtungen-haben-sich-bewahrheitet-art-75010

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