«Ausbildung ist sinnvolle Entwicklungshilfe»
Jakob Schaub ist am Mittwoch um Mitternacht aus Bangladesch zurückgekehrt. Acht Wochen sah er dort im Dorf Rudrapur nach dem Rechten: Er hat an der Handwerkerschule für Elektriker, die er selbst gegründet hat, die Lehrer weitergebildet und die Lehrlinge mit neuem Werkzeug und Material versorgt. Für Schulkinder und Einwohner in verschiedenen Adivasidörfern (Urbevölkerung) liess er zur Verbesserung der hygienischen Verhältnisse und zur Gewinnung von sauberem Trinkwasser Pumpanlagen erstellen. Die Anlagen werden nur mit Solarstrom betrieben. Kein Tag ist seit seiner Ankunft in Buchs vergangen, und schon sitzt er wieder munter am Küchentisch und erzählt von der Entwicklung seiner Projekte in Bangladesch. Der 68-Jährige strotzt vor Energie: «Die Elektrikerschule in Bangladesch ist meine Lebensaufgabe geworden.» Trotzdem ist er jedes Mal froh, in seine Heimat Buchs zurückkehren zu können.
Funken springt über
Jakob Schaub ist mit drei Schwestern in Räfis aufgewachsen. Er hat beim EW Buchs die Lehre zum Elektriker absolviert und nebenbei seine Leidenschaft für das Funken entdeckt. Er begann mit 15 Jahren zu morsen und schloss sich in der Rekrutenschule der Fernmeldetruppe an. Nachdem er die Amateurfunkprüfung erfolgreich bestanden hatte, stellte er sich dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) für einen Einsatz als Funker zur Verfügung, der ihn nach Bangladesch führte. «Damals hätte ich nicht gedacht, dass das Land einmal so wichtig für mich wird», erzählt Jakob Schaub.
Während der RS wurde ein weiterer Grundstein in Schaubs Leben gelegt: Er lernte seine Marty durch einen witzigen Zufall kennen: Sie arbeitete im Restaurant von Jakobs Tante, die monatelang davon sprach, dass sie ihrem Neffen noch ein «Fresspäckchen» ins Militär schicken müsse. Nachdem sie das drei Wochen vor Ende der RS noch immer nicht getan hatte, ergriff die junge Serviertochter die Initiative und stellte das Paket für ihre Chefin zusammen – mit dem Effekt, dass Jakob Schaub zum Dank nicht nur seiner Tante, sondern auch ihr schrieb. Der Funken sprang sofort über und Jakob nutzte die erstbeste Gelegenheit, sie im Restaurant zu besuchen. Seither sind sie ein Paar.
Grosser Schreck in Kalkutta
Am 14. Dezember 1971 war es schliesslich so weit: Jakob Schaub, damals 28 Jahre alt und Vater von zwei kleinen Jungs, wurde vom Roten Kreuz nach Bangladesch aufgeboten. Dort war gerade der Unabhängigkeitskrieg zu Ende und es galt, bei der Flüchtlingsrückführung den Funkverkehr zwischen Dhaka, der Hauptstadt Bangladeschs, und Genf zu sichern. Die Reise verlief aus organisatorischen Gründen nicht optimal und der junge Vater musste fünf Tage in Kalkutta auf die Einreisebewilligung nach Dakha warten.
In Kalkutta sah er Schreckliches: «Es herrschte grosse Hungersnot. Verwahrloste Kinder wühlten auf Abfallhaufen und stritten sich mit räudigen Hunden um Essensreste.» Jakob Schaub fiel es wie Schuppen von den Augen: Nicht die Armen in ihrem grenzenlosen Elend weit weg von zu Hause sind die Ausnahme dieser Welt, sondern die Schweizer und Liechtensteiner, die in einem gewissen Wohlstand leben dürfen.
Rückkehr nach getaner Arbeit
Jakob Schaub war froh, endlich nach Dhaka weiterreisen zu können und musste dann feststellen, dass die Situation in Bangladesch nicht besser war. Er wollte sein Hobby sinnvoll für eine soziale Arbeit einsetzen und merkte, dass das nicht ausreichte. Die Verkehrswege waren zerstört, die Stromversorgung war katastrophal und die Menschen arbeiteten als Tagelöhner und hatten oft nicht einmal Geld für Reis, geschweige denn für eine Ausbildung. Der IKRK-Funker konnte damals nicht mehr ausrichten und kehrte nach getanem Dienst zurück zu seiner Familie. «Die Arbeit in Bangladesch war eine grosse Lebenserfahrung für mich, die ich damals kein zweites Mal machen wollte», gesteht er.
Ganzes Leben im EW tätig
Zurück in der Schweiz, ging Jakob Schaub wieder seinen Aufgaben als Ehemann, Vater und Elektriker nach. Er bildete sich ständig weiter, übernahm die Betriebsabteilung des EW Buchs und hatte als technischer Leiter Einsitz in der Geschäftsleitung. Ab 1980 setzte eine Zeit besonders stürmischer technischer Entwicklung ein: Die Kraftwerke wurden voll automatisiert, das Verteilnetz auf 20 000 Volt erweitert, ein modernes regionales Kabelfernsehnetz aufgebaut und zwei grosse Photovoltaikanlagen erstellt.
Als EW-Mitarbeiter hatte er alles, was man sich wünschen konnte: ein grosses Haus mit schönem Garten, eine Familie, auf die er sich verlassen konnte und eine sichere Arbeitsstelle. Die Bilder des Elends in Indien und Bangladesch liessen ihn jedoch nicht mehr los. Ihn überkam mit den Jahren immer mehr das Gefühl, den sozial benachteiligten Menschen etwas schuldig zu sein. Er nahm sich fest vor, sich nach seiner Pension sozial zu betätigen.
Treffen mit Mutter Teresa
Jakob Schaub wartete aber nicht bis zur Pension. Er stiess auf ein kleines Hilfswerk, das in Zentralindien die Ureinwohner unterstützte. Beide, Jakob und seine Frau, halfen während ein paar Jahren in den Ferien vor Ort mit. Er nutzte die Reise nach Indien jeweils, um noch andere Hilfsorganisationen zu besuchen und verschiedene Erinnerungsstätten aufzusuchen. Dabei half er zwei Wochen im grössten Lepra-Spital Asiens bei der Pflege der Patienten. «Das war die härteste Zeit für mich», gesteht Jakob Schaub.
Mit gemischten Gefühlen stieg er eines Tages in die Eisenbahn. Er wollte Kalkutta, den Alptraum vieler Entwicklungshelfer, noch einmal besuchen. Zum einen wollte er unbedingt Mutter Teresa treffen, zum anderen einen Strassenarzt ausfindig machen, von dem er sehr Gutes gehört hatte. Bei Mutter Teresa hatte er Glück: Sie empfing ihn unangemeldet und unkompliziert in ihrem Mutterhaus. «Es war ein erhabener Moment, dieser kleinen, weltberühmten Frau die Hände reichen zu dürfen», erinnert sich der Entwicklungshelfer mit einem Leuchten in den Augen. Den Strassenarzt Jack Preger fand er kurz bevor er die Suche aufgeben wollte. «Jack wanderte mit einer Arzttasche voller Medikamente durch die Elendsviertel und behandelte die Kranken kostenlos. Er ist ein grosses Vorbild von mir», schwärmt der Buchser.
Boot mit zerrissenen Segeln
Kurz vor seiner Pensionierung stiess Jakob Schaub auf einen Buchumschlag, dessen Titelbild ihm bekannt vorkam: ein Boot mit zerrissenen Segeln, das er selbst vor 30 Jahren bei seinem Aufenthalt als IKRK-Funker in Bangladesch fotografiert hatte. Er las das Buch mit Interesse und stiess auf der letzten Seite auf Shanti, einen deutschen Verein, der eine bengalische Hilfsorganisation namens Dipshikha unterstützt. Er machte sich – wider seiner Erwartung – noch einmal auf nach Bangladesch, um das Hilfswerk vor Ort zu begutachten. Das Tätigkeitsfeld umfasst vor allem die gute Bildung der armen Bevölkerung, was ganz in Schaubs Sinn war: «Meine Erfahrungen haben gezeigt, dass neben medizinischer Versorgung eine gute Schul- und Berufsausbildung der Jugend die sinvollste Entwicklungshilfe ist.»
Mit Solarpreis ausgezeichnet
Als Elektriker mit langjähriger Berufserfahrung hatte Jakob Schaub die Idee, innerhalb der bengalischen Organisation eine Elektrikerschule mit Solarenergie zu betreiben, weil die Stromversorgung im Dorf nach wie vor nicht funktionierte. Jakob Schaub, ein Mann der Taten, gründete mit seiner Frau den Partnerverein Shanti Schweiz und leitete alle Massnahmen für den Bau der Handwerkerschule ein. Die berühmte Kunstarchitektin Anna Heringer, die selbst als Volontärin in Bangladesch tätig war, entwarf ein zweistöckiges Schulgebäude aus Lehm und Bambus.
Im August 2007 begannen die ersten 20 Männer die zweijährige Ausbildung zum Elektriker. Mittlerweile wurden 40 junge Menschen ausgebildet, die nun heiss begehrte Arbeitskräfte in Bangladesch sind. Jakob Schaub sorgt mit der Elektrikerschule dafür, dass die Einheimischen unterrichtet werden und die Sonnenenergie sinnvoll genutzt werden kann. Der Verein Shanti Schweiz wurde dafür 2009 mit dem Schweizer Solarpreis ausgezeichnet. Schaub ruht sich jedoch nicht auf diesen Lorbeeren aus. «Ich bin nicht mehr der Jüngste. Mein Ziel ist es, dass der Schulbetrieb auch ohne mich erfolgreich weiterläuft.» (hl)
Steckbrief
Name: Jakob Schaub
Wohnort: Buchs
Alter: 68
Beruf: pensionierter Elektriker
Hobbys: Funken
Leibspeise: Kalbsleber und Rösti
Getränk: Hahnenwasser
TV-Vorliebe: Dokumentarfilme
Musik: Volksmusik, Egerländer
Lektüre: Fachliteratur
Stadt/Land? Land
Sommer/Winter? Sommer
Ort: Heimat Buchs
Stärke: «Ich habe viel Geduld, …»
Schwäche: «… jedoch Mühe, Nein zu sagen.»
Kontakt: j.schaub@rsnweb.ch
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«Liewo-Porträt»