Als Single-Beraterin in Amors Namen unterwegs
Es ist ein trüber, regnerischer Tag. Die dunklen, schweren Wolken hängen tief und verdecken die Bergspitzen.» So beginnt Silvia Eggenberger ihr Buch «In Amor’s Namen unterwegs». In der 113 Seiten langen Lektüre erzählt die lebensfrohe 70-Jährige lustige, aber auch nachdenkliche Kurzgeschichten aus ihrem Leben als Single-Beraterin. «Ich war fast neun Jahre lang als Partnervermittlerin in der ganzen Ostschweiz und Graubünden unterwegs. Während dieser Tätigkeit habe ich viel Interessantes erlebt, gesehen und gehört», erzählt die Werdenbergerin. Das glaubt man ihr gerne: Schliesslich verlangte ihre Tätigkeit, dass sie jeden Tag neue Menschen kennenlernt. Da kann es hin und wieder schon passieren, dass man auf eine Person trifft, deren Verhalten oder Lebensgeschichte nicht ganz in das Bild eines Normalbürgers passt.
Da gibt es zum Beispiel die Frau, die einfach mal gerne mit einem Landwirt Sex haben möchte, weil sie es sich erotisch vorstellt, von einem ländlichen Mann unter freiem Himmel verführt zu werden. Oder aber den sympathischen alleinstehenden Mann, der gerne Bilder von sterbenden Frauen malt und diese bei sich in der Wohnung aufhängt. Silvia Eggenberger hat in ihrer Laufbahn als Partnervermittlerin so einiges erlebt. Für sie war es der interessanteste Job, den sie hatte. Dabei hat sie in ihrem Leben schon so einige berufliche Stationen absolviert – nicht zuletzt verdankt sie das auch ihrem Mann.
Mitgefangen, mitgehangen
Kennen- und lieben gelernt hat sie Hans Eggenberger im jugendlichen Alter von 17 Jahren. Damals befand sie sich gerade in der Ausbildung bei den SBB. «Wir heirateten sehr früh und schon bald wurde unsere erste Tochter geboren. Im Laufe der Jahre wurden uns sechs weitere Kinder geschenkt», erzählt sie. Das Leben in einer grossen Familie gefiel der gebürtigen Toggenburgerin. Mit Leib und Seele widmete sie sich ihrer Aufgabe als Hausfrau und Mutter. Nebenbei erledigte sie die Büroarbeiten des Malergeschäft ihres Mannes. Soweit erscheint ihr Lebenslauf eher etwas konventionell, wäre da nicht der Drang ihres Mannes gewesen, immer wieder etwas Neues auszuprobieren.
Nach wenigen Jahren beschloss Hans Eggenberger, sowohl den Malerbetrieb als auch das neue Haus zu verkaufen. Im Gegenzug hat er einen Landgasthof im Thurgau erworben. Doch einen Restaurantbetrieb zu führen, bedeutet von frühmorgens bis spät in die Nacht viel Arbeit und grossen Einsatz. So war er auf die tatkräftige Unterstützung seiner Frau angewiesen: «Ich wurde quasi ins kalte Wasser geworfen: Wir vereinbarten, dass ich einen mehrwöchigen Wirtefachkurs besuche, um den damals notwendigen Wirte-Fähigkeitsausweis zu erwerben.» Nur so sei es ihr und ihrem Mann möglich gewesen, erfolgreich ein Restaurant zu führen. Zudem erledigte Silvia Eggenberger auch den grössten Teil der im Betrieb anfallenden Arbeiten: «Mein Mann hatte immer einen guten Draht zu den Kunden, doch ich erledigte den Grossteil der Arbeit – einkaufen, kochen, servieren, Buchhaltung und Organisation – all das blieb an mir hängen», weiss sie zu berichten.
Ein neues Abenteuer
Nach knapp drei Jahren empfand Silvia Eggenbergers Mann auch die Arbeit im Landgasthof nicht mehr als befriedigend. Er und seine Frau verpachteten den Betrieb und zogen zurück ins Rheintal. Der Familienvater beschloss, im Immobilienhandel tätig zu werden, und auch dabei unterstützte ihn seine bessere Hälfte: «Ich erledigte für ihn die Buchhaltung und die anfallenden Büroarbeiten», erzählt die siebenfache Mutter. Das Leben der Familie Eggenberger schien – nach dem kurzen Abenteuer im Thurgau – wieder in gewohnten Bahnen zu verlaufen.
Doch schon bald stürzten sich Hans Eggenberger und seine Frau ins nächste Abenteuer: Er gründete die Volksmusikanten-Formation «Hans mit seinen Berglandmusikanten». Die siebenfache Mutter und Hausfrau übernahm neben ihrer Büroarbeit für den Immobilienhandel auch noch das Management der Musikgruppe.«Ich erledigte alles Organisatorische: Zum Beispiel arrangierte ich Radio-Interviews und schrieb die Texte für die zwölf neuen Lieder auf der ersten CD», berichtet sie.
Die grosse Umstellung
So abwechslungsreich und turbulent das Leben der Eggenbergers war, nach 30 Jahren scheiterte die Ehe. Für Silvia Eggenberger bedeutete dies eine grosse Umstellung. «Mit den drei jüngsten Kindern musste ich plötzlich wieder auf eigenen Füssen stehen», erzählt sie. Hausfrau und Mutter sein reichte nicht – sie brauchte einen Job. So nahm sie eine Stelle als Schuhverkäuferin an. Anfangs arbeitete sie in Buchs, wurde jedoch einige Zeit später in ein weiter entferntes Geschäft in Altstätten versetzt, weil dort dringend Angestellte gebraucht wurden. «Ich fuhr fünfmal wöchentlich – täglich insgesamt fast 60 Kilometer – zu meiner Arbeit und zurück», erzählt sie, was auf Dauer doch recht anstrengend wurde. Nach rund drei Jahren wechselte sie deshalb ihre Arbeitsstelle und wurde Kassierin bei der Warenhauskette ABM in Buchs. Diese Arbeit habe ihr damals sehr gefallen und auch sonst lief alles rund: «Ich fand, dass mein Leben nahezu perfekt war», erinnert sie sich. Doch dann machte ihr das Schicksal einen Strich durch die Rechnung, denn Jahr 2003 kam das Aus für alle ABM-Filialen, und Silvia Eggenberger war plötzlich arbeitslos. «Zu alt für einen neuen Arbeitsplatz, aber zu jung für die Altersrente. Mit 61 Jahren stand ich wieder am Anfang», erklärt sie. Die Werdenbergerin liess sich aber nicht unterkriegen und vertraute auf die Zukunft.
Eine schicksalshafte Wendung
Kurz nachdem sie ihre Stelle verloren hatte, stiess Silvia Eggenberger durch eine glückliche Fügung auf ein Jobinserat in der Zeitung. «Ich war gerade dabei, meinem Sohn bei den Hausaufgaben zu helfen. Hierzu schnitt ich einige Zeitungsartikel aus und entdeckte dabei ein Stellenangebot», erzählt sie. Gesucht wurde eine «sympathische Beraterin mit Einfühlungsvermögen und Herz». «Das wäre doch etwas für mich», dachte sich Silvia Eggenberger und bewarb sich sofort. Zwei Monate später – nach der notwendigen Umschulung – begann sie mit ihrer Arbeit als Single-Beraterin für eine Partnervermittlung. Die interessante, abwechslungsreiche Arbeit bereitete ihr viel Freude, denn der Job beinhaltete alles, was sie gerne tat: neue Menschen kennenlernen, interessante Gespräche führen, Lebensschicksale erfahren, Büroarbeiten, Inserate aufsetzen, telefonieren, terminieren und natürlich auch abschliessen, um damit Geld zu verdienen. Aus diesem Grund habe sie diese Tätigkeit auch nach ihrer Pensionierung noch mit viel Engagement ausgeübt.
Nun geniesst die 70-Jährige ihren Ruhestand. Vor Kurzem hat sie ihre Arbeit als Single-Beraterin niedergelegt und widmet sich nun ihren zahlreichen Hobbys. Sie fotografiert und liest leidenschaftlich gern, fährt Fahrrad und bereist die Welt. Zudem erhält sie zwischendurch Besuch von einem ihrer sieben Kinder und sechs Enkelkindern. «So schnell wird mir bestimmt nicht langweilig», lächelt die Werdenbergerin. Ausserdem hat sie nach «Unterwegs in Amor’s Namen» schon das nächste Projekt im Auge. «Ich würde immer noch gerne ein Buch über mein Leben schreiben oder einen Roman», erzählt sie. Es scheint, als habe Silvia Eggenberger nicht nur ein turbulentes Leben hinter sich, sondern auch einen bewegten Ruhestand vor sich. (sb)
Steckbrief
Name: Silvia Eggenberger
Wohnort: Werdenberg
Alter: 70
Beruf: Rentnerin
Hobbys: Velofahren, Reisen, Fotografieren, Lesen, Schreiben
Leibspeise: Fondue und Chinesisch
Getränk: Mineralwasser, Kaffee und Aperol
TV-Vorliebe: «Universum» und Reportagen über andere Länder
Musik: Oldies, Schlager, Country und Weltmusik
Lektüre: Biografien und spannende Romane
Stadt/Land? Land
Sommer/Winter? Frühling und Herbst
Ort: Vor allem nordische Länder wie Südengland oder Irland
Stärke: «Ich bin eine Optimistin.»
Schwäche: «Ich bin etwas ungeduldig, wenn ich lange auf etwas warten muss.»
Kontakt: silvie223@hotmail.com
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«Liewo-Porträt»