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Welch süsse Versuchungen

Ich liebe ja Früchte. Deswegen kann ich es mir manchmal auch nicht verkneifen, einen Apfel oder eine Kirsche von einem Baum zu stibitzen, auch wenn das natürlich nicht gerade die feine Art ist.

Aber was soll ich denn machen, einfach in den Ländle-Markt reinspazieren kann ich ja auch nicht... Letzten Sommer kam ich aber an einem Kirschbaum vorbei, neben dem eine Tafel mit der Aufschrift «Gott sieht alles» stand. Das sollte Schlawiner wie mich wohl davon abhalten, ein paar Kirschen mitgehen zu lassen.

Da kamen mir die Gebrüder Nigg wieder in den Sinn. Es war so zwischen 1840 und 1850, als ich Johannes und Franz Nigg in Triesen beobachtete, die es auf denselben Kirschbaum wie ich abgesehen hatten. Als ihre Mutter die beiden dabei erwischte, wie sie auf den Baum kletterten, schimpfte sie «ghörig» und befahl ihnen, sofort herunterzukommen. Die beiden Jungen sträubten sich allerdings, vom Baum zu steigen, denn die Mutter hielt eine lange Rute in der Hand – Bestrafung muss sein. In dem Moment war ich froh, dass die beiden mir zuvorgekommen waren und ich mich noch schnell im Gebüsch verstecken konnte. Ich war natürlich gespannt, wie sich die Strolche aus der verhängnisvollen Situation zu retten gedachten, also blieb ich in meinem Gebüsch und beobachtete das Ganze weiter. Schliesslich entschied sich Johannes, vom Baum zu steigen und erntete prompt eine ordentliche Tracht Prügel. Franz dagegen blieb auf dem Baum und wartete ganz einfach, bis der Zorn der Mutter verraucht war.

Genau wie ich fragten sich auch die Brüder der beiden, wieso Johannes denn nicht genauso schlau wie sein Bruder gewesen war und stattdessen Prügel einsteckte. Auf die Frage, weshalb er denn so dumm gewesen sei, antwortete er nur: «I ha mini Sach ka, dr Franz aber kunnt is Fägfür.» Da bekam ich doch glatt ein schlechtes Gewissen und stibitzte einen ganzen Monat lang keine einzige Frucht mehr. Auch in den kommenden Jahren habe ich ab und zu ein Auge auf Johannes geworfen und sah, wie er später mit zwei seiner Brüder (auch dem «klugen» Franz) half, ein Trappistenkloster in Afrika zu bauen. Ich dagegen kann der Versuchung manchmal einfach nicht widerstehen. So auch letzten Sommer, als ich unter «Gott sieht alles» den Satz «Aber er petzt nicht» setzte.(ah)

 

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