Starke Frauen der Geschichte
Dort wohnen die Arbeiter der gegenüberliegenden Spinnerei Jenny, Spoerry & Cie. Mensch, es ist erst fünf Uhr morgens und trotzdem sind die Bewohner schon fast alle auf den Beinen. Das muss ich mir mal genauer ansehen.
Ich sehe dort in der Küche eine Frau. Kocht sie etwa schon das Mittagessen? Sie nimmt den Topf vom Herd und verlässt das Haus. Ach so, das habe ich neulich in diesem Schulbuch gelesen. Weil die Arbeitszeiten bis zu 13 Stunden betragen und die Mittagspause so kurz ist, kochen die Fabrikarbeiterinnen das Essen für die Familie schon vor. Ich folge der Frau auf ihrem Weg in die Fabrik. Noch hat mich keiner entdeckt. Ich verstecke mich und warte, bis die Luft rein ist. Dann klettere ich durch ein offenes Fenster in die Fabrik. Kaum bin ich drin, möchte ich am liebsten wieder hinaus. Es ist staubig und die Spinnmaschinen machen einen unglaublichen Lärm. Selbst eine Drachenhöhle ist ein lauschiges Plätzchen dagegen. Mir fällt eine Strophe aus einem Gedicht einer Weberin ein: «Ich sehe den Frühling nicht kommen und sehe den Sommer nicht gehn, von morgens früh bis abends spät muss ich an meiner Maschine stehn.»
Hier möchte ich nicht arbeiten. 60 Prozent der Beschäftigten in der Spinnerei sind Frauen. Ein Spinnereiarbeiter verdiente einen Gulden und 60 Kreuzer pro Tag. Das höchste, was eine Frau verdienen konnte, waren 90 Kreuzer. Zum Vergleich: Ein Gulden sind etwa zwei Franken. Trotz ihrer harten Arbeit hatten die «Fabriklerinnen» gar keinen guten Ruf. Sie waren als schlechte Hausfrauen verschrien. Ich möchte schnell zurück in die Zukunft. Es hat sich ja zum Glück bei den Arbeitsbedingungen schon einiges getan. Ich hoffe, dass heute in Liechtenstein keine Frau mehr dichten muss: «Was meine Seele will träumen, was mir im Herzen singt, kann nie lebendig werden, weil es der Lärm verschlingt.» Doch von gleichen Löhnen träumen wir heute noch immer. (jhr)
Drago zum Jahr 1890
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300 Jahre Oberland mit Drago