Schaurige Gedanken
Und die Geschichten erst, die mein Opa mir immer wieder erzählte, wenn er im Schaukelstuhl genüsslich an seiner Drachenpfeife – Cai Sao, so nannte er sie – zog.
Am eindrücklichsten war die Anekdote, die bereits meinem Grossvater erzählt wurde: Innerhalb eines Monats wurden in Vaduz 14 Menschen mit dem Schwert hingerichtet. Mein Urgrossvater habe einmal zugeschaut. So wie euch Lesern nun vielleicht die Spucke wegbleibt, blieb ihm damals das Feuer weg, so erschüttert war er. Er habe selbst beim Erzählen bis ins hohe Alter noch dicke Krokodilstränen geweint, so hat ihn der Anblick mitgenommen. Die Strafen waren in jener Zeit hart: Wer jemand in seiner Ehre beleidigte, wurde am Sonntag zur Zeit der Messe zwei Stunden lang auf dem Dorfplatz in die Geige gespannt, ein Folterinstrument, in das Hände und Füsse geschraubt wurden. Weiters wurden Menschen mit Ruten ausgeschlagen, Ohren und Finger abgeschnitten. Yu-Gi-Oh – entschuldigt liebe Leser dieser Drachenfluch. Musste aber sein. Mein Uropa und mein Opa waren sehr anständige Drachen – aber auch sie konnten sich das Fluchwort am Ende dieser grausamen Geschichte nie verkneifen.
Zweimal im Jahr trafen sich Landammann, Richter und Weibel in langen Mäntel, um zu verhandeln. Für Schuldforderungen tagte es als Gant- oder Schuldgericht, für Übertretungen der Polizeiordnung als Frevelgericht und für Kriminalfälle als Malefiz- oder Blutgericht. 1808 wurde dieses alt-ehrwürdige Volksgericht abgeschafft. 1812 wurde das österreichische Recht eingeführt und von 1866 bis zum Bau des Regierungsgebäudes war die heutige Realschule der Sitz des Landgerichts. Vor fünf Jahren zog es dann in den Neubau beim Au-Kreisel ein. Ab und an schau ich dort vorbei. Ich bin ziemlich neugierig – das hab’ ich wohl von meinem Urgrossvater. Nur muss ich heute nicht mehr zusehen, wie Beschuldigten Finger und Ohren abgeschnitten werden. Drachengottseidank! (bfs)
Drago in den Jahren 1808 - 1866
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300 Jahre Oberland mit Drago