Probieren geht über Studieren...
Es regnete in Strömen, als wir gegen Abend in Vaduz ankamen. Alexandre hatte Hunger und wir setzten uns an einen grossen Tisch zu zwei Fuhrleuten dazu. Die Wirtin brachte einen tiefen Teller – und dem Dichtermeister fielen beinahe die Augen aus dem Kopf. «Nicht gut», stammelte er mit seinen wenigen Deutsch-Kenntnissen. Mit grossem Erstaunen, dass jemand Sauerkraut zurückweist, nahm die Wirtin den Teller wieder vom Tisch. Es herrschte Schweigen.
Wenig später entschied Alexandre Dumas, das Sauerkraut doch zu probieren. Ansonsten würde die Wirtin ihn noch bis zum Tage des Gerichts verfolgen, flüsterte er mir. Der Dichter rief einen Hund, der das Gericht schliesslich in Windeseile auffrass. «Braves Tier», sagte er und gab den leeren Teller der Wirtin zurück. «Und Sie?» fragte diese. Der Meister fragte nach Schweinsrippen, nach Eier und Kartoffeln. Die Wirtin aber hatte nur Sauerkraut. Dann plötzlich erinnerte sich Alexandre, dass man ihm empfohlen hatte, nicht an Liechtenstein vorbeizugehen, ohne von seinen Pilzen gegessen zu haben. Der Haken: Alexandre fiel das deutsche Wort nicht ein und auch meine Deutschkenntnisse liessen damals als junger Drache noch zu wünschen übrig.
Erfinderisch war ich aber schon immer – und so trieb ich ein Blatt Papier für den Meister auf. Mit aller Sorgfalt zeichnete er das Gewächs und schon nach wenigen Minuten nickte die Wirtin vielsagend. «Sie hat verstanden», jauchzte Alexandre und umarmte mich vor Freude. Fünf Minuten später kam die Wirtin zurück – mit einem geöffneten Regenschirm. Unglücklich warf der Dichter einen Blick auf seine Zeichnung und murmelte: «Die Ähnlichkeit ist vollkommen.» Erschöpft und hungrig bat er erneut um einen Teller Sauerkraut. «Es hat keines mehr», sagte die Wirtin. «Drago hat den Rest gefressen.» Mit funkelnden Augen sah mich Alexandre an, packte mich am Schopf und setzte mich auf die Strasse – ich sah ihn nie mehr. Dafür schickte er mir später ein Entschuldigungsschreiben: Erst als er seine Anekdote im Vaduzer Heimatbuch gelesen habe, habe er bemerkt, dass auch der Hund der Wirtin Drago hiess. Immer diese Namens-Vetter ... (bfs)
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300 Jahre Oberland mit Drago
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