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Arme Leute lässt man gerne wandern

Die Geschichte führt mich ins Jahr 1845 zurück. Und zwar nach Balzers. Zurzeit herrscht gerade eine richtige Auswanderungswelle.

Die Zeiten sind schlecht, in Europa herrscht die Kartoffelfäulnis, die Preise für die Lebensmittel klettern in die Höhe. Der Rheineinbruch oberhalb von Vaduz führt dazu, dass ein grosser Teil der Äcker und Wiesen unter Wasser steht. Meine Füsse sind nass. Und hungrig bin ich auch.

Ich beschliesse also, Joseph Nigg und Franz Vogt zu besuchen, die mir sicher ein leckeres Drachenmahl zubereiten. Doch die machen sich gerade auf dem Weg zu Landvogt Menzinger. Sie erklären mir, dass ich mit meinem Drachenmahl warten muss. Nicht mal ihre Familie könnten sie mehr ernähren und wollten deshalb nach Amerika auswandern, um dort ihr Glück zu suchen. Ursprünglich verbot das Gesetz von 1809 alle Auswanderungen. Doch 1843 wurden die Bestimmungen gelockert. Arme Leute lässt man gerne wandern – deshalb erhalten Joseph und Franz die Ausnahmebewilligung. Ihnen folgen in den kommenden Jahren 300 weitere Liechtensteiner. Ab 1848 benötigen sie dafür auch keine Bewilligung mehr, die letzten Beschränkungen werden aufgehoben. Auswanderungen werden zu einem Ventil gegen die Überbevölkerung.

Auswanderungsagenturen machen mit den armen Auswanderern ein grosses Geschäft. Vor allem mit meinen lieben Balznern, welche – bestrebt, ihr Los zu verbessern – die Auswanderungsliste lange Zeit anführen. Die Statistik des Jahres 1881 zeigt, dass von 79 ausgewanderten Liechtensteinern 55 Balzner sind. Das sind zu der Zeit rund 8 Prozent der Balzner Bevölkerung.

Amerika verspricht Arbeit und Wohlstand. Doch wenn ich meine Kameraden so von oben betrachte, sehe ich, dass es kein Zuckerschlecken für sie ist. Mit dem Balzner Dialekt kommen sie nicht weit, und auch die Arbeitsweise ist wohl gewöhnungsbedürftig. Trotzdem leben viele von ihnen noch heute dort. Ich fliege aber lieber wieder zurück nach Balzers. Und ins Jahr 2012. Auch wenn wahrscheinlich grad wieder der «Pfööh» geht. Egal – es ist einfach schön zu sehen, dass es uns wieder gut geht. Sogar viel besser als den meisten Menschen auf der Welt. Das ist drachenstark – und nach meinem Ausflug weiss ich das jetzt auch zu schätzen. (dv) 

 

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