«Ich hatte immer ein Sauglück»
Vaduz. - Louis Jäger steht in seinem Atelier am Drescheweg in Vaduz und blättert durch eine Zeichnungsmappe. «Das sind jetzt eigentlich keine gescheiten Bilder, nicht.» Er blättert durch Bilder von Fröschen und Unken – «Unken gibt es heute fast keine mehr im Riet» –, Fledermäuse – «die wurden dann zu Briefmarken» – und Bleistiftzeichnungen von Brennnesseln – «wer macht schon eine Studie von Brennnesseln!» Louis Jäger lacht. Zu seinen Meisterwerken gehören diese Bilder seiner Meinung nach nicht. Aber sie fliessen vielleicht einmal in ein grösseres Bild hinein. Möglicherweise sogar so stark, dass von ihnen danach nicht mehr viel zu sehen ist. Jäger überlegt eine Weile und betrachtet die Skizzen. «Aber die Erfahrung, die ist noch da.» Leicht gebeugt steht er am Zeichnerpult und blättert weiter. Immer wieder lacht er beim Anblick der Bilder, die sein Sohn Georg in einer Mappe gesammelt hat.
Seit der 82-Jährige nicht mehr als Grafiker arbeitet, hat er endlich genug Zeit für die Kunst. Jeden Tag malt er; manchmal länger, manchmal nur eine oder zwei Stunden. Trotzdem liegt die letzte Ausstellung im Küefer-Martis-Huus fünf Jahre zurück. Nur dank viel Überredungskunst werden vom 26. Oktober bis 18. November einige seiner neueren Werke im Domus in Schaan zu sehen sein. «Ich habe es halt vor ein paar Jahren versprochen, nicht. Und was man verspricht, das hält man auch.»
Es scheint fast, als ob der Künstler seine Werke nicht gerne ausstellen würde. «Doch, ich stelle schon gerne aus. Aber ein bisschen Hemmungen habe ich auch.» Louis Jäger, der erste und wohl berühmteste selbstständige Grafiker in Liechtenstein, der unzählige Bücher, Broschüren und Inserate mit seiner Handschrift prägte, der über 130 Briefmarken gestalten durfte und der in der Presse mehrfach als «Grafikpionier» und «Altmeister» bezeichnet wurde, der «das Image der Liechtensteiner Postwertzeichen ganz entscheidend mitgeprägt» hat, hat Hemmungen, sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen. «Weil ich halt weiss, dass ich nicht so gut bin.» Seine Mundwinkel ziehen sich leicht nach oben, während der 82-Jährige das sagt. Er blättert weiter, zu einer weissen Figur mit Flügeln und einem halbierten Ei als Kopf. «Sehen Sie, das ist jetzt eine Karikatur. Ein Eierengel.» Wie er auf die Idee gekommen ist, weiss er nicht mehr. «Vielleicht war Ostern», sagt er und lacht.
Eine Karikatur als Kompliment
Auch in der kommenden Ausstellung wollte Louis Jäger zuerst Karikaturen zeigen. Ideen hätte er genug gehabt: «Wir haben ja 70 Prozent im Land, die hell begeistert sind vom Fürsten, nicht. Und ich sehe das Ganze halt etwas nüchterner», lacht er. Aber mit Karikaturen ist er vorsichtig geworden. Viele Leute in Liechtenstein könnten damit nicht umgehen. «Dabei mache ich gar keine bösen Karikaturen.» Im Gegenteil: «Ein Mensch muss mir passen, damit ich ihn zeichnen kann.»
Statt Karikaturen zeigt Louis Jäger im Domus eine Auswahl an Aquarell- und Ölbildern. «Aquarelle, die sind mir am liebsten», sagt er, während er einige Bilder aus einer Schublade hervorholt. Nur durch sie könne er seine innersten Gefühle ausdrücken. Aquarell fliesst und gibt ihm die Freiheit, deckend zu malen oder transparent, Grenzen ineinanderfliessen zu lassen und die Natur so abzubilden, wie er sie wahrnimmt: Überall durch Grenzen getrennt und doch mit allem verbunden. Ausserdem kann er die Aquarelle, die oft nicht viel grösser als ein A3-Format sind, zu Hause in Schaanwald malen. Dort ist er ungestört. Für die grösseren Ölbilder muss er ins Atelier nach Vaduz, wo heute sein Sohn Georg als Grafiker arbeitet. Dort geht es hektischer zu und her, und immer wieder reisst ihn das Klingeln des Telefons aus seinen Gedanken. Ausserdem kann er zu Hause in Schaanwald mitten in der Nacht aufstehen und eine Idee weiterverfolgen, die ihm plötzlich gekommen ist.
Auf jeden Baum geklettert
Gezeichnet hat Louis Jäger schon als kleines Kind. Damals zeichnete er vor allem Menschen. «Ich verstand einfach nicht, wieso ich es nicht fertigbrachte, einen Menschen richtig zu zeichnen.» Er lacht, zeichnet mit dem Finger einen Kreis auf den Tisch, malt zwei Punkte und einen Halbkreis in die Mitte und vier Striche rund um den Kreis. «So sah das dann etwa aus. Bis ich irgendwann gemerkt habe, dass die Beine ganz woanders anfangen.»
Die Landschaften und Tiere, für die er heute so bekannt ist, kamen erst später dazu. Obwohl er die Natur immer geliebt hat. Besonders das Maurer Riet mit seinen Äckern und Wiesen, wo an manchen Orten noch Schilf wächst. Dort kannte er jedes Vogelnest und jeden Baum, «schliesslich bin ich auch auf jeden raufgeklettert!» Im Riet war Louis Jäger glücklich. In der Schule weniger. Der Primarschullehrer schlug die Schüler, «und in mir hatte er ein gutes Opfer», erzählt Jäger. «Der hat doch gemerkt, dass ich von armen Eltern komme.» Der Pfarrer war nicht viel besser. Der Künstler wird ruhig, als er an die Misshandlungen zurückdenkt. «Ja, so war es halt früher.»
Eine Briefmarke öffnete Türen
Louis Jäger musste sein Geld immer selbst verdienen. Nach seiner Ausbildung als Grafiker finanzierte er sich die Kunststudien an der Akademie für Bildende Künste in München und der Hochschule für Bildende Künste in Berlin durch verschiedene Grafikarbeiten. «Ich hatte immer ein Sauglück, nicht», sagt er über seine damaligen Aufträge. «Aber ich brauchte auch nicht viel Geld zum Studieren.» 1962 eröffnete er dann in Vaduz ein Atelier für Grafik und Ausstellungsgestaltung.
Tür und Tor öffnete ihm die berühmte Europa-Briefmarke, die erste grafisch gestaltete und mehrfarbige Briefmarke Liechtensteins, die 1960 erschien. «Von der haben sie zu wenig gedruckt oder was, sodass der Preis gleich raufging», lacht Jäger. So wurde der Name Louis Jäger im ganzen Land bekannt. Als Grafiker hat Jäger gerne gearbeitet – «aber schon hauptsächlich, um Geld zu verdienen.» Spass gemacht hätten vor allem die Arbeiten, bei denen er zeichnerisch arbeiten konnte – und die Gestaltung von Messeständen. «Da bin ich ordentlich rumgekommen, nicht.»
Im Ausland bleiben wollte er aber nie: «Ich hatte immer das Heimweh.» Aber auf die Frage, was er genau von seiner Heimat vermisst hat, weiss Louis Jäger keine Antwort. Er faltet die Hände, führt sie zum Kinn und überlegt. «Eigentlich nichts. Ich hatte ja eine Freundin und alles, was ich brauchte», lacht er. «Wahrscheinlich hätte ich länger bleiben sollen.» Er überlegt, was ihn zurück nach Liechtenstein getrieben hat. «Wahrscheinlich das Verdienen, nicht.»
Vom Kommen und Gehen
Kommen und Gehen – so heisst die kommende Ausstellung von Louis Jäger im Domus. Damit ist vieles gemeint: Der Kreislauf von Nacht und Tag oder das Verschwinden von Landschaften. Wie das Maurer Riet, das ihm so am Herzen liegt. «Das Riet, wie ich es kannte, gibt es gar nicht mehr. Das wurde durch die Landwirtschaft zerstört.» Unken zum Beispiel hat Jäger im Riet schon lange nicht mehr gesehen. Höchstens beim Vogelparadies Birka.
Aber Kommen und Gehen heisst auch Leben und Sterben. Ein Thema, das Jäger beschäftigt: «Ich habe noch nicht alles ganz erfasst», sagt er. Die paar Jahre, die ihm noch blieben, wolle er diesem Thema weiter nachsinnen. Etwas aber glaubt er zu wissen: «Ich darf sowas ja fast nicht sagen, aber ich glaube nicht, dass ich in den Himmel oder die Hölle komme. Ich glaube, dass der Tod alles auslöscht, auch die Erfahrung und das gesammelte Wissen. So hat es die Schöpfung eingerichtet.»
Angst vor dem Tod hat Louis Jäger nicht. Obwohl er immer wieder beobachten konnte, wie stark alle Lebewesen am Leben hängen. Zu Hause im Garten hat er einen Sanddorn, der schon lange am Absterben ist. «Die Leute fragen mich manchmal, ob ich den nicht endlich einmal umhaue. Aber jedes Jahr bekommt er ein paar neue Blätter.» Solange der Sanddorn Blätter treibt, bleibt er in Louis Jägers Garten stehen. «Solange er leben will, soll er leben», sagt der 82-Jährige, zieht die Mundwinkel nach oben und verschränkt die Arme vor der Brust.
Louis Jäger im Domus in Schaan: Vernissage am 25. Oktober, 19.30 Uhr. Ausstellung vom 26. Oktober bis 18. November.
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